Das Dasein geht dem Wesen voraus: Existentialistisches Denken

Das Dasein geht dem Wesen voraus: Existentialistisches Denken
Judy Hall

Der von Jean-Paul Sartre stammende Satz "Das Dasein geht dem Wesen voraus" gilt heute als klassische, ja sogar definierende Formulierung des Kerns der existenzialistischen Philosophie. Es ist eine Idee, die die traditionelle Metaphysik auf den Kopf stellt.

Das westliche philosophische Denken geht davon aus, dass das "Wesen" oder die "Natur" einer Sache grundlegender und ewiger ist als ihre bloße "Existenz". Wenn man also eine Sache verstehen will, muss man mehr über ihr "Wesen" erfahren. Sartre ist da anderer Meinung, obwohl man sagen muss, dass er sein Prinzip nicht universell, sondern nur auf die Menschheit anwendet.

Feststehende vs. abhängige Natur

Sartre vertrat die Ansicht, dass es zwei Arten des Seins gibt: Das erste ist das "Sein an sich" ( l'en-soi ), das als etwas charakterisiert wird, das feststeht, vollständig ist und keinen Grund für sein Dasein hat - es ist einfach da. Dies beschreibt die Welt der äußeren Objekte. Wenn wir zum Beispiel einen Hammer betrachten, können wir seine Natur verstehen, indem wir seine Eigenschaften auflisten und den Zweck untersuchen, für den er geschaffen wurde. Hämmer werden von Menschen aus bestimmten Gründen hergestellt - in gewissem Sinne ist die "Essenz" oder "Natur" einesDer Hammer existiert im Kopf des Schöpfers, bevor der Hammer in der Welt existiert. Man kann also sagen, dass bei Dingen wie Hämmern die Essenz der Existenz vorausgeht - das ist klassische Metaphysik.

Die zweite Art der Existenz ist nach Sartre das "Für-sich-sein" ( le pour-soi ), das als etwas charakterisiert wird, das in seiner Existenz vom Ersteren abhängig ist. Es hat keine absolute, feste oder ewige Natur. Für Sartre beschreibt dies den Zustand der Menschheit perfekt.

Der Mensch als Abhängiger

Sartres Überzeugungen widersprechen der traditionellen Metaphysik - oder besser gesagt, der vom Christentum beeinflussten Metaphysik -, die den Menschen als einen Hammer betrachtet. Denn nach theistischer Auffassung wurde der Mensch von Gott als bewusster Willensakt und mit bestimmten Ideen oder Zielen im Kopf geschaffen - Gott wusste schon vor der Existenz des Menschen, was er erschaffen sollte. Im Kontext des Christentums ist der Mensch also wieHämmer, weil das Wesen und die Eigenschaften - die "Essenz" - der Menschheit im ewigen Geist Gottes existierten, bevor es überhaupt Menschen auf der Welt gab.

Selbst viele Atheisten halten an dieser Grundannahme fest, obwohl sie auf die damit einhergehende Annahme eines Gottes verzichten: Sie gehen davon aus, dass der Mensch eine besondere "menschliche Natur" besitzt, die einschränkt, was ein Mensch sein kann oder nicht sein kann - im Grunde genommen, dass wir alle eine "Essenz" besitzen, die unserer "Existenz" vorausgeht.

Sartre vertrat die Ansicht, dass es ein Fehler sei, den Menschen so zu behandeln, wie wir äußere Objekte behandeln. Die Natur des Menschen ist vielmehr sowohl selbst definiert und Für den Menschen geht also seine Existenz seinem Wesen voraus.

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Es gibt keinen Gott

Sartres Glaube stellt die Lehren des Atheismus in Frage, die mit der traditionellen Metaphysik übereinstimmen. Es reiche nicht aus, einfach den Gottesbegriff aufzugeben, sondern man müsse auch alle Konzepte aufgeben, die sich von der Idee Gottes ableiten und von ihr abhängig sind, ganz gleich, wie bequem und vertraut sie im Laufe der Jahrhunderte geworden sein mögen.

Sartre zieht daraus zwei wichtige Schlüsse: Erstens gibt es keine allen Menschen gemeinsame menschliche Natur, weil es keinen Gott gibt, der sie geben könnte. Der Mensch existiert, das ist klar, aber erst nachdem er existiert, kann sich eine "Essenz" entwickeln, die "menschlich" genannt werden kann. Der Mensch muss seine "Natur" entwickeln, definieren und entscheiden, und zwar durch eineAuseinandersetzung mit sich selbst, ihrer Gesellschaft und der sie umgebenden natürlichen Welt.

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Individuell und doch verantwortlich

Darüber hinaus argumentiert Sartre, dass, obwohl die "Natur" eines jeden Menschen davon abhängt, dass er sich selbst definiert, diese radikale Freiheit von einer ebenso radikalen Verantwortung begleitet wird. Niemand kann einfach sagen, "es lag in meiner Natur", um sein Verhalten zu entschuldigen. Was auch immer eine Person ist oder tut, hängt vollständig von ihren eigenen Entscheidungen und Verpflichtungen ab - es gibt nichts anderes, auf das sie zurückgreifen könnte.Die Menschen haben niemanden zu beschuldigen (oder zu loben) außer sich selbst.

Sartre erinnert uns dann daran, dass wir keine isolierten Individuen sind, sondern Mitglieder von Gemeinschaften und der menschlichen Rasse. Es gibt vielleicht keine universelle menschliche Natur aber es gibt sicherlich eine gemeinsame menschliche Zustand- Wir sind alle gemeinsam betroffen, wir leben alle in einer menschlichen Gesellschaft, und wir stehen alle vor den gleichen Entscheidungen.

Jedes Mal, wenn wir Entscheidungen darüber treffen, was wir tun wollen, und wenn wir uns verpflichten, wie wir leben wollen, geben wir damit auch zu verstehen, dass dieses Verhalten und diese Verpflichtung für die Menschen wertvoll und wichtig sind. Mit anderen Worten: Obwohl es keine objektive Autorität gibt, die uns vorschreibt, wie wir uns zu verhalten haben, sollten wir uns dennoch bewusst machen, wie sich unsere Entscheidungen auf andere auswirken. Weit davon entferntAls einsame Individualisten sind die Menschen, so Sartre, zwar für sich selbst verantwortlich, aber sie tragen auch eine gewisse Verantwortung für das, was andere wählen und was sie tun. Es wäre ein Akt der Selbsttäuschung, eine Wahl zu treffen und sich gleichzeitig zu wünschen, dass andere nicht die gleiche Wahl treffen. Eine gewisse Verantwortung dafür zu übernehmen, dass andere unserem Beispiel folgen, ist die einzige Alternative.

Cline, Austin. "Existence Precedes Essence: Existentialist Thought." Learn Religions, Feb. 16, 2021, learnreligions.com/existence-precedes-essence-existentialist-thought-249956. Cline, Austin. (2021, February 16). Existence Precedes Essence: Existentialist Thought. Retrieved from //www.learnreligions.com/existence-precedes-essence-existentialist-thought-249956 Cline, Austin: "Existence Precedes Essence: Existentialist Thought" (Existenz geht der Essenz voraus: Existentialistisches Denken), Religionen lernen, //www.learnreligions.com/existence-precedes-essence-existentialist-thought-249956 (Zugriff am 25. Mai 2023), Zitat kopieren



Judy Hall
Judy Hall
Judy Hall ist eine international renommierte Autorin, Lehrerin und Kristallexpertin, die über 40 Bücher zu Themen geschrieben hat, die von spiritueller Heilung bis hin zu Metaphysik reichen. In ihrer mehr als 40-jährigen Karriere hat Judy unzählige Menschen dazu inspiriert, sich mit ihrem spirituellen Selbst zu verbinden und die Kraft der Heilkristalle zu nutzen.Judys Arbeit basiert auf ihrem umfassenden Wissen über verschiedene spirituelle und esoterische Disziplinen, darunter Astrologie, Tarot und verschiedene Heilmethoden. Ihr einzigartiger Ansatz zur Spiritualität verbindet alte Weisheiten mit moderner Wissenschaft und gibt den Lesern praktische Werkzeuge an die Hand, um mehr Ausgeglichenheit und Harmonie in ihrem Leben zu erreichen.Wenn sie nicht gerade schreibt oder unterrichtet, reist Judy um die Welt auf der Suche nach neuen Erkenntnissen und Erfahrungen. Ihre Leidenschaft für Entdeckungen und lebenslanges Lernen zeigt sich in ihrer Arbeit, die weiterhin spirituell Suchende auf der ganzen Welt inspiriert und stärkt.